Der außergewöhnlich universelle Wert der "Great Spa Towns of Europe"

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© Stadtverwaltung Baden-Baden Vereinfachtes Schema der wesentlichen Bestandteile der Bedeutenden Kurstädte Europas

Die „Bedeutenden Kurstädte Europas“ (The Great Spa Towns of Europe) stellen ein außergewöhnliches Zeugnis des europäischen Kurphänomens dar, dessen Blütezeit in der Zeit von ca. 1700 bis ca. 1930 lag und hunderte von Kurorten hervorbrachte. Die Serie umfasst jene Kurstädte, die zu ihrer Zeit die bekanntesten waren, ein internationales Publikum anzogen und sich besonders dynamisch entwickelten.

Auch wenn jede Kurstadt in ihrer individuellen Ausprägung unterschiedlich ist, entwickelten sich doch alle Städte rund um die natürlichen Thermalquellen, die die Katalysatoren für eine spezifische räumliche Stadtentwicklung waren. Ensembles von Kurbauten umfassen Badehäuser, Brunnenhallen, Trinkhallen, Behandlungseinrichtungen und Wandelhallen, die zur Anwendung des Heilwassers zum Baden, Inhalieren oder Trinken entworfen wurden. Für die Kurgäste entstanden Hotels und Villengebiete.

„Kuren“, äußerlich oder innerlich, bedeutete neben den therapeutischen Anwendungen auch gesellschaftlicher Austausch und Amüsement, die sich mit dem Begriff der Gesellschaftskur zusammenfassen lassen. Dafür wurden Kurhäuser, Spielcasinos und Theater errichtet. Hinzu kamen kurortspezifische infrastrukturelle Einrichtungen – von Wasserverteilungssystemen und Salzproduktionsanlagen bis hin zu Eisenbahnen und Seilbahnen.

Alle Einrichtungen sind eingebettet in einen übergeordneten städtebaulichen Zusammenhang mit sorgsam gepflegter Kurlandschaft – einer Umgebung aus Parks, Gärten und Promenaden, Sportanlagen und Wäldern. Gebäude und Freiräume sind visuell und physisch mit der umgebenden Landschaft vernetzt, die einen bedeutenden Beitrag zur Therapie im Rahmen des Kurens sowie zur Erholung und zur Zerstreuung leistet.

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1) Historische städtebauliche Struktur

Luftaufnahme von Baden-Baden (zentraler Ausschnitt) zeigt beispielhaft den Siedlungstypus Kurstadt mit der engen Verflechtung von Bebauung und Natur („altes“ Bäderviertel, „neues“ Kurviertel, Teile der Villengebiete, Parks und Gärten).Bild vergrößern
Foto: Willi Walter Luftaufnahme von Baden-Baden, Siedlungstypus Kurstadt mit enger Verflechtung von Bebauung und Natur: Bäderviertel, Kurviertel, Teile der Villengebiete, Parks und Gärten

Die Menschen errichteten oftmals bereits in der Antike Siedlungen an den natürlichen Heilquellen. Daraus entstand eine ganz eigenständige Prägung der Kurstädte mit einer ganz eigenen städtebaulichen Aufteilung in Kurviertel, Villengebiete, geschlossenen Stadterweiterungen und Grünanlagen sowie der charakteristischen Durchdringung der Siedlung durch Parkanlagen und Gärten.

Besonders hervorzuheben ist die die Umsetzung der städtebaulichen und landschaftsgestalterischen Ideen der Aufklärung, wie die Begeisterung für die Schönheit der Natur. Ein Charakteristikum der Kurstadt ist die Integration der Siedlung in die Topografie, wobei die Landschaft als rahmendes Bild der Stadt und durch Terrainkurwege, Aussichtspunkte und Ausflugsziele als attraktiver Freiraum dient. Man versuchte die Siedlung zur freien Natur hin zu öffnen. Viele der Kurviertel, die besonders im 19. Jahrhundert entstanden wurden aus der Altstadt in die freie Landschaft verlagert.

2) Kurstadtarchitektur

Gebäude Russische KircheBild vergrößern
Russische Kirche Baden-Baden

Die Funktion der Kurstädte brachte eine typische Kurstadtarchitektur mit eigenen Typologien hervor, wie beispielsweise das Kurhaus oder auch Konversationshaus genannt. Zudem entstanden Trink- und Wandelhallen, Bäderbauten sowie touristische und technische Infrastruktur für den Kurbetrieb. Ebenfalls charakteristisch für Kurstädte sind Theater, luxuriöse Hotelbauten, Villen sowie Sakralbauten unterschiedlichster Konfessionen.

3) Europäische Kur-Tradition

Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert von Menschen die in der Trinkhalle Thermalwasser trinken. Bild vergrößern
(c) Stadtmuseum/-archiv Trinkkur im 19. Jahrhundert, Trinkhalle Baden-Baden

Die Bedeutenden Kurstädte Europas geben Zeugnis einer Epochen übergreifenden Tradition der europäischen Badekultur. Bedeutende balneologische und medizinische Fortschritte wurden in diesen Zentren der Heilung entwickelt.

Prägend für das europäische Kurwesen des 19. Jahrhunderts ist ein ganzheitlicher Ansatz – einer Kombination aus der therapeutischen Anwendung von Wasser, bestehend aus Baden, Trinkkuren und Inhalation, zusammen mit gesellschaftlichen Aktivitäten, wie Tanz, Musik und Glücksspiel, die der Zerstreuung der Kurgäste diente sowie körperlicher Betätigung und Sport in der Natur.

Aufgrund des hohen Stellenwerts gesellschaftlicher Aktivitäten wurde der Aufenthalt in Kurstädten oftmals auch als Gesellschaftskur bezeichnet. Dabei nahmen Freizeiteinrichtungen wie Konversationshäuser, Casinos, Theater, Ausflugslokale, Pferde- und Hunderennbahnen, Golf- und Tennisplätze eine besondere Rolle ein.

4) Internationalität und Ereignisse

Fürstentreffen in Baden-Baden am 16. Juni 1860. Von links: Maximiliam von Bayern, Wilhelm von Württemberg, Napoleon III,  Wilhelm von Preußen, Georg von Hannover, Johann von Sachsen, Ludwig von Hessen, Adolf von Nassau, Friedrich I. von Baden, NN, NN.Bild vergrößern
(c) Stadtmuseum/ - archiv Fürstentreffen in Baden-Baden am 16. Juni 1860. Von links: Maximiliam von Bayern, Wilhelm von Württemberg, Napoleon III, Wilhelm von Preußen, Georg von Hannover, Johann von Sachsen, Ludwig von Hessen, Adolf von Nassau, Friedrich I. von Baden, NN, NN.

Die Bedeutenden Kurstädte Europas sind seit dem 19. Jahrhundert internationale Treffpunkte und Versammlungsorte für Kultur und Politik, die im Klima der Aufklärung und religiöser Toleranz florierten und zum Austausch von modernen Ideen und Wertvorstellungen in der Entwicklung von Balneologie, Medizin, Künsten und Freizeitaktivitäten über Grenzen hinweg beitrugen. Als solche waren die Kurstädte Inspirationsorte für bedeutende Künstler, Philosophen und Wissenschaftler und waren Entstehungsort herausragender Werke z.B. der Musik und der Weltliteratur.

Die Kurstädte waren Schauplätze wichtiger politischer Ereignisse, die oft in einem informellen Rahmen stattfanden. Dabei sprach man oft von „diplomathie thermale“, wie beispielsweise dem Treffen von 10 deutschen Fürsten mit Kaiser Napoleon 1860 oder dem Dreikaisertreffen 1872 in Baden-Baden.

Sie waren aber auch Experimentierfelder für die Verbürgerlichung und Demokratisierung der Gesellschaft durch neue Formen von Begegnungs- und Kommunikationsräumen, die eine Vermischung der Stände zuließ.

Die Bedeutenden Kurorte Europas zeichnen sich durch ihre europaweite Ausstrahlung und ein internationales Profil mit einer pluralistischen Gesellschaft aus und trugen zu grenzüberschreitenden kulturellen Entwicklungen bei. Somit lieferten sie einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung einer bürgerlichen multikulturellen europäischen Gesellschaft und wurden zu Geburtsstätten des modernen Tourismus.

5) Lebendige Kurtradition

FestspielhausBild vergrößern
(c) Festspielhaus Festspielhaus Baden-Baden

Bis heute besitzen die Bedeutenden Kurstädte Europas eine besondere Anziehungskraft für das internationale Publikum. In Fortführung der jahrhundertealten Kurtradition wird das Thermalwasser noch heute für medizinische Zwecke und für das Wohlbefinden des Menschen genutzt. Auch die Grünanlagen und Parks haben durch intensive Plege ihre Schönheit bewahrt.

Nach wie vor erfüllen die Bedeutenden Kurstädte Europas ihre Aufgabe als dauerhafte und verlässliche Orte der Heilung für Körper, Geist und Seele. Auch durch renommierte Kultureinrichtungen leisten sie einen anhaltenden Beitrag zur europäischen Kultur.

All diese Faktoren tragen zum Weiterleben der authentischen Atmosphäre einer internationalen Kurstadt bis heute bei.

Altes Dampfbad
Blick auf die Altstadt
Gönneranlage
Lichtentaler Allee "Von der Allee", Aquarell über Bleistift

Wissenschaftliche Beiträge

Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts

Flyer: Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. JahrhundertsBild vergrößern

Seit etwa 2006 gibt es Überlegungen zu einem Welterbeantrag der Stadt Baden-Baden. Mit der ICOMOS-Jahrestagung 2010 fand in Baden-Baden eine internationale Fachkonferenz zum Thema „Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts“ statt. Die Tagung sollte im Rahmen einer vergleichenden Studie erste Impulse für eine gemeinsame Bewerbung geben. Die Veranstalter gelangten gemeinsam mit verschiedenen ICOMOS-Vertretern und ca. 200 Teilnehmern nach der dreitägigen Veranstaltung zu dem Ergebnis, „..dass es in Europa eine kleine Gruppe von Kurstädten des 19. Jahrhunderts gibt (sogenannte „Weltbäder“), die nicht nur repräsentativ für die Geschichte des europäischen Kurwesens stehen. Ihr materielles und immaterielles Kulturerbe ist so stark miteinander verknüpft, dass sein universeller Wert erst in einer nationale Grenzen überschreitenden Zusammenschau deutlich wird“ (V. Eidloth 2012).

Playgrounds of Europe: Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts

Deckblatt der Vergleichsstudie "Playgrounds of Europe". Historische Zeichnung der Menschen vor dem KurhausBild vergrößern
Deckblatt der Vergleichsstudie "Playgrounds of Europe"

Die Vergleichsstudie "Playgrounds of Europe: Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts" (2010) von Dr. Andreas Förderer beschäftigt sich als Zuarbeit für einen transnationallen seriellen Welterbe-Antrag bedeutender Kurstädte Europas mit der Frage, inwieweit neben der bereits in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommenen englischen Stadt Bath noch weitere europäische Kurorte einen „außergewöhnlichen universellen Wert“ besitzen. 

Die Studie wurde im Auftrag der Stadt Baden-Baden und mit freundlicher Unterstützung der Baden-Baden Kur- und Tourismus GmbH (BBT) und des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart in Auftrag umgesetzt. 

 

Zwischen Heilung und Zerstreuung: Europäische Kurparks und Kurgärten des 19. Jahrhunderts

Vom 19. bis 21. März 2015 veranstaltete das Landesamt für Denkmalpflege in Zusammenarbeit mit ICOMOS und dem Arbeitskreis Historische Gärten der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur eine weitere internationale Tagung. Ihr Thema lautete „Zwischen Heilung und Zerstreuung - europäische Kurparks und Kurgärten des 19. Jahrhunderts“.

Eine zentrale Fragestellung war, ob man analog zur Kurstadt als einem Sondertypus des Städtebaus auch von Kurparks als einem spezifischen Typus in der europäischen Gartenkunst sprechen kann. Betrachtet wurde unter anderem, welche Rolle Kurparks in der Gartentheorie spielten, welchen Stellenwert sie im Werk namhafter Gartenkünstler einnehmen und ob es regionale Unterschiede in Hinblick auf die Gestaltung gab.

Ein weiteres Anliegen der Tagung war, den Blick über den Maßstab der gärtnerischen Gestaltung hinaus auf größere grünplanerische Zusammenhänge zu lenken. Neben der städtebaulichen Bedeutung der Kuranlagen für planmäßige Stadtentwicklungen oder als Ausgangspunkt städtischer Grünsysteme soll die Erschließung der Landschaft in der Umgebung von Heilbädern als ein typisches, aber bisher nur ansatzweise wissenschaftlich bearbeitetes Phänomen betrachtet werden.

Nicht zuletzt wurde bei der Tagung auf die heutigen Anforderungen beim Erhalt historischer Kurparks eingegangen und gartendenkmalpflegerische Ansätze und Projekte vorgestellt.

Internationalität in ausgewählten Kurstädten des 19. Jahrhunderts

Deckblatt des Abschlussberichts "Internationalität in ausgewählten Kurstädten des 19. Jahrhunderts". Zu sehen ist eine Zeichnung einer Russischen Kirche.Bild vergrößern

Die Studie „Internationalität in ausgewählten Kurstädten des 19. Jahrhunderts“ von Katharina Herrmann, Tamara Klemm und Markus Mayer beschäftigt sich mit der Frage der Internationalität der Kurstädte Baden-Baden, Franzensbad, Karlsbad, Marienbad, Spa, Vichy und Wiesbaden. Den Auftrag zur Untersuchung erteilten das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg (für die sechs erstgenannten Städte) und die Landeshauptstadt Wiesbaden (für Wiesbaden).